Michael Buchinger hasst viele Dinge, die alle toll finden - WELT

2022-05-20 18:36:41 By : Ms. Shally Liu

Schon der Titel ist ziemlich gut - „Der Letzte macht den Mund zu“ heißt das erste Buch von YouTuber und Blogger Michael Buchinger - und liefert, so der Untertitel, „selbstgemachte Gemeinheiten und extrafrische Bösartigkeiten“. Den unbedarften Leser mag das nun wundern, doch seine Fans (immerhin rund 150.000 Abonnenten auf YouTube) wissen, was sie sich darunter vorstellen dürfen. Schon auf YouTube liefert der Österreicher regelmäßig unterhaltsame Videos mit Dingen, die er „hasst“, also den Alltäglichkeiten, die den meisten Menschen regelmäßig passieren, die aggressiv machen, nerven, stören. Wie öffentliche Verkehrsmittel, Halloween oder rote Bete. Sein Buch nun behandelt die Lebensszenarien seiner Generation (Buchinger ist 24 Jahre alt) ausführlicher - es geht ums Onlinedating, One-Night-Stands oder Social-Media-Probleme und auch wenn all das natürlich gewohnt amüsant erläutert wird,  gibt er manchmal auch kleine, moralische Botschaften mit. Oder er erzählt einfach nur, was er schrecklich findet. Wie diese Dinge - eigentlich allseits beliebt. Oder? 

Sobald jemand bei einem gemütlichen Treffen unter Freunden sagt: „So! Und jetzt wird gespielt!“, ist das mein Signal, nach Hause zu gehen und mir neue Freunde zu suchen. Meine Abneigung gegen Brettspiele jeglicher Art kommt nicht mal daher, dass ich miserabel darin bin oder schlecht verlieren kann (meistens gewinne ich sogar). Aber nichts sagt meiner Meinung nach mehr „Die Luft aus unserer Freundschaft ist raus, und ich weiß nicht, worüber ich mit dir noch reden soll!“ als eine gemeinsame Runde „Mensch ärgere dich nicht“. Treffe ich mich mit Freunden, so möchte ich mich doch mit ihnen über aktuelle Themen austauschen, nach ihrem Privatleben fragen oder (mein Favorit!) über andere Menschen lästern. Sobald jemand aber ein Brettspiel auspackt, drehen sich alle Unterhaltungen nur noch darum, ob es denn „Baronin von Porz mit dem Dolch in der Bibliothek“ war. Wen interessiert das? Wenn das so weitergeht, müsst ihr bald den Tod von Michi Buchinger, leblos unter einem Couchtisch voller Brettspiele aufgefunden, klären. Hier ein Hinweis: Die Todesursache war Langeweile.

Ich habe noch nie eine Folge Two And A Half Men, The Big Bang Theory oder How I Met Your Mother gesehen, und von mir aus kann das gerne so bleiben. Meine Mitmenschen reagieren auf diese Aussage immer völlig schockiert und erklären mir, dass mir viele gute Gags entgehen. Glaubt mir, sie entgehen mir nicht, egal, wie stark ich mich bemühe. Obwohl ich diese Serien nie gesehen habe, weiß ich bestens über Running Gags wie den „Cheerleader-Effekt“ und anderen Nonsens Bescheid, weil die Leute aus irgendeinem Grund einfach nicht aufhören können, Sitcoms zu zitieren. Ich denke, was mich an diesen Serien insgeheim stört, ist die Tatsache, dass sie sehr männerdominiert wirken. Gebt mir eine starke Frauenfigur, die nicht ständig nur über Männer und Dates quasselt und viel zu attraktiv und normal ist, um mit dem schusseligen Kevin James verheiratet zu sein, und ich bin ganz dabei.

All die Male, die ich Gras geraucht habe, waren fürchterlich langweilig, und ich mochte es kein bisschen. Nicht nur fand ich den Geruch ekelhaft, ich wurde auch so langsam und beknackt, dass ich mir selbst irrsinnig auf die Nerven ging und immer die Augen verdrehte, wenn ich an einem Spiegel vorbeiging. Vor allem aber mag ich Cannabis-Konsum nicht, da ich Angst habe, mich in einen dieser realitätsfernen Kiffer zu verwandeln. „Es macht überhaupt nicht abhängig! Ich kann jederzeit aufhören!“, sagen sie dir, während sie ihren dritten Joint des Tages rauchen, ein T-Shirt tragen, auf dem ein tanzendes Hanfblatt mit Sonnenbrille zu sehen ist, und drei Stunden lang aus­ schließlich über Marihuana reden wollen. Alles klar, Martin.

Wer kennt es nicht: Freunde erstellen einen Gruppenchat, um etwa ein Geburtstagsgeschenk zu planen, und, nachdem das Geschenk besorgt wurde und der Geburtstag vorüber ist, plaudern sie jedoch fröhlich weiter. „Wisst ihr was?“, verkünden sie eines Tages. „Weil wir hier so viel Spaß haben, ändere ich den Namen der Gruppe in „Pussytalk Deluxe“ und wir können fröhlich weiterplaudern!“

Spaß? Wann hatten wir je Spaß? Gruppenchats sind fürchterlich und führen dazu, dass mein Handy so oft vibriert, dass ich es als Massagegerät einsetzen könnte. Lasse ich den Nonsens-Talk auch nur fünf Minuten aus den Augen, entstehen in dieser Zeit ohne Zweifel zahlreiche „Insider“ wie etwa der Ausruf „BADABONG!“, die ich einfach nicht verstehe, weil ich parallel ein analoges Leben führe. Steigt man aber aus dem Gruppenchat aus, kommt man sich sofort so vor wie das undankbare Mitglied einer Girlband, das frühzeitig aussteigt. Ich mag euch alle sehr gerne, aber eure Gruppenchats verwirren mich. (Badabong! *hihi*).

Die Menschen lieben Buffets, und ich verstehe nicht, warum. Es war vielleicht anders, als ich ein Kind war, aber heutzutage finde ich es nicht mehr aufregend, mir mein Essen selbst zu holen, und werde gern bedient. Diese Situation wirft zudem einige Fragen auf: Gebe ich den Kellnern beim Bezahlen in einem Buffet-Restaurant Trinkgeld? Wenn ja: wofür? In zweiter Linie scheint „Buffet“ nur ein Codewort für „Wir haben alle Speisen, aber keine von ihnen schmeckt sonderlich gut!“ zu sein. Ich finde es immer dubios, wenn ein Restaurant zum Beispiel Pizza, Burger, Sushi, Mexikanisch und Regionales anbietet. Die meisten Buffets tun das und haben zusätzlich noch diesen prickelnden „Diese Speisen liegen schon den ganzen Abend hier und könnten dir eine Lebensmittelvergiftung bescheren!“-Spaßfaktor. „Aber Buffets sind günstig!“, argumentieren die Leute gerne, und ich verstehe nicht, warum sie so naiv sind: Du zahlst 9,99 Euro dafür, so viel essen zu können, wie du möchtest – bin ich der Einzige, für den dieses Angebot zu gut klingt, ohne einen riesigen Haken zu haben, wie zum Beispiel den, dass einer der „Sieben Schätze“ ein abgefallener Fingernagel sein könnte?

Viele Leute bepieseln sich vor Vorfreude, wenn sie hören, dass in ihrer Stadt demnächst ulkige Events wie Silent Disco oder kommerzielle Kopien des indischen Holi-Fests anstehen. Seit wann müssen unsere Samstagabend-Aktivitäten so ausgefallen sein? Ich liebe es nach wie vor, mit Freunden in eine Bar oder einen Club zu gehen und einfach eine gute Zeit zu haben – ich brauche keine Attacken mit Pulverfarbe, während David Guetta läuft. Ich möchte nicht allzu krasse Behauptungen in den Raum werfen, aber mir fällt spontan keine Person ein, die etwa gerne und regelmäßig zu Events geht wie Schwarzlicht-Minigolf oder einer Rollschuh-Disco und über die ich nicht auch gleichzeitig sagen würde, dass sie absolut einen an der Waffel hat. Ich vermute einen starken Zusammenhang.

Ich mag den Sommer kein bisschen. Sobald die ersten warmen Sonnenstrahlen meine Nase kitzeln, verabschiede ich mich schneller in meine schattige, klimatisierte Wohnung als einer dieser glitzernden Vampire in Twilight. Die Hitze ist für mich unausstehlich, und ein weiterer unangenehmer Nebeneffekt der Sommermonate ist, dass alle Leute es plötzlich lieben, baden zu gehen. „Michael, kommst du wieder mit an den See?“, fragen sie mich unentwegt und lassen dabei völlig außer Acht, dass ich noch nie „mit am See“ war, da ich stets den Besuch meiner frei erfundenen Tante Mitzi als Ausrede parat habe. Baden gehen ist für mich eine dicke, fette Zeitverschwendung. Wenn ich fünf Stunden irgendwo halbnackt herumliegen und mich danach sehr ekelhaft fühlen möchte, verabrede ich mich lieber über Tinder spontan zu einem „Filmabend“.

Folgen Sie uns unter dem Namen ICONISTbyicon auch bei Facebook, Instagram und Twitter.

Michael Buchinger ist bei YouTube mit seinen „Hasslisten“ berühmt geworden. Jetzt hat er dafür den Webvideopreis gewonnen. Vor kurzem ist der Wiener nach Berlin gezogen, um hier weiter zu hassen.

Die WELT als ePaper: Die vollständige Ausgabe steht Ihnen bereits am Vorabend zur Verfügung – so sind Sie immer hochaktuell informiert. Weitere Informationen: http://epaper.welt.de

Der Kurz-Link dieses Artikels lautet: https://www.welt.de/167866638